System Sparzwang – Wie Austerität Gesellschaft und Demokratie zerstört
Larissa Zivkovic
Sparen gilt in Europa seit Jahrzehnten als Allheilmittel gegen Krisen. Doch hinter dem scheinbar „alternativlosen“ Austeritätskurs verbirgt sich weit mehr als nüchterne Haushaltspolitik: Er ist Ausdruck einer Ideologie, die soziale Sicherungssysteme schwächt, Ungleichheit vertieft und demokratische Entscheidungsprozesse aushöhlt.
Die wirtschaftspolitische Debatte der letzten Monate in Europa und darüber hinaus ist derzeit von kaum einer Devise stärker geprägt als jene der Spar- und Austeritätspolitik. Sie ist die Antwort auf die multiplen ökonomischen Krisen, die der Kapitalismus in den letzten Jahren und Jahrzehnten hervorgebracht hat – zumindest von weiten Teilen der Bürgerlichen und Mainstream-Ökonom*innen. Die österreichische Regierung plant, allein im Jahr 2025 6,4 Milliarden Euro einzusparen, Friedrich Merz behauptet, der deutsche Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar und auch Frankreichs Premierminister François Bayrou kündigte an, im Jahr 2026 43,8 Milliarden Euro einsparen zu wollen –beispielsweise durch das Streichen von Feiertagen oder Einsparungen im Gesundheitssystem.
Das vorgegebene Ziel jener, die sich für einen Sparkurs einsetzen, ist die Staatsschulden zu senken. Wenn man einen genaueren Blick auf den Sparkurs wirft, sieht man, dass vor allem ausgabenseitig gekürzt wird, um die Ziele zu erreichen. Also wird bei bestehenden Systemen wie dem Gesundheits-, Bildungs-, oder Pensionssystem gespart.
Diese Sparmaßnahmen sind allerdings nicht unumgänglich, denn auch einnahmenseitig könnte der Staatshaushalt, mittels Steuern auf Vermögen oder Erbschaften finanziert werden.
"Dieser Bereich bleibt aber seit geraumer Zeit so gut wie unberührt. Das, obwohl Vermögen in Österreich so ungleich verteilt ist wie noch nie und auch vermögende mehr Kapital besitzen als jemals zuvor."
Sparzwang gilt in unserem neoliberalen und kapitalistischen Wirtschaftssystem als alternativlos, obwohl noch nie die Ergebnisse eingetreten sind, die von Befürworter*innen der Sparpolitik versprochen wurden. In diesem Artikel soll deshalb angeschnitten werden, welche Ideologie eigentlich hinter Austeritätspolitik steckt und ob sie wirklich so alternativlos ist, wie Neoliberale gerne behaupten.
Was genau ist Austeritätspolitik?
Austeritätspolitik beschreibt das Kürzen von staatlichen Ausgaben mit dem vermeintlichen Ziel, die Schuldenquote eines Staates zu senken. Der Staat soll seine Ausgaben verringern und eine weniger aktive Rolle in wirtschaftlichen Prozessen einnehmen. Beispiele dafür gibt es seit dem Aufkeimen der neoliberalen Ideologie im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Genüge: Privatisierungen im öffentlichen Verkehr, wie jene der British Rail oder der Deutschen Bundesbahnen in den 90er Jahren, der Verkauf von staatlichen Wohnungen in Großbritannien oder auch in Österreich im Zuge der BUWOG-Affäre oder auch Prekarisierungen staatlicher Absicherungssysteme, wie den Hartz-Reformen in Deutschland.
Der neoliberale Grundgedanke ist jener, dass staatliches Fehlverhalten, wie Investitionen in öffentliche Systeme und die damit einhergehende Aufnahme von Staatsschulden, zu ökonomischen Krisen führt. Die zugrundeliegende Analyse, wie ökonomische Krisen entstehen, unterscheidet sich dabei maßgeblich von unserer materialistischen Analyse. Während die bürgerlich-neoliberale Analyse davon ausgeht, dass eine aktive Rolle des Staates in der Wirtschaft zu sinkendem Marktvertrauen führt und Unternehmen deshalb weniger investierten, zeigt eine materialistische Analyse, dass Krisen im Kapitalismus systemimmanent sind, also ein fixer Bestandteil, der auch durch Reformen nicht verhindert werden kann. Die marxistische Krisentheorie im Gegensatz dazu erkennt die Rolle von Überproduktion, Akkumulation von Kapital und der daraus entstehenden ökonomischen Ungleichheit als Ausgangspunkt von Wirtschaftskrisen, die auf zyklische Art und Weise im Kapitalismus entstehen.
Wenn wir also wollen, dass nicht weiterhin eine Krise der nächsten folgt und sich die Spirale von Krise und Prekarisierung kontinuierlich weiterdreht, müssen Krisen im Kapitalismus als das erkannt werden, was sie sind: Nämlich keine zufälligen unerwünschten Nebeneffekte, sondern grundlegender Bestandteil dieser Wirtschaftsweise, in der Profitmaximierung an oberster Stelle steht.
"Nämlich keine zufälligen unerwünschten Nebeneffekte, sondern grundlegender Bestandteil dieser Wirtschaftsweise, in der Profitmaximierung an oberster Stelle steht."
Ideologie & Marktradikalität
Auch wenn sich Verteter*innen neoliberaler Sparpolitik oft als “unpolitisch” oder “ausschließlich faktenorientiert" darstellen, steckt hinter dem Austeritäts-Denken eine politische Ideologie mit einer sehr spezifischen Weltanschauung. Als Vordenker dieser Ideologie können die Intellektuellen des Walter Lippmann Colloquium bzw. später die Mont Pelerin Society betrachtet werden. Ab den 1940er Jahren kamen diese zu regelmäßigen Treffen zusammen, um an einer gemeinsamen Strategie zur Verbreitung und Umsetzung neoliberaler Praxis zu arbeiten. Teilnehmer dieser Gruppe waren unter anderem Milton Friedman, Friedrich Hayek, Ludwig Mises oder Karl Popper, allesamt sehr angesehene Ökonomen, die den polit-ökonomischen Diskurs im 20. Jahrhundert stark prägten.
Die neoliberale Praxis zeigte, dass Werte des Liberalismus, wie jene der Freiheit oder Selbstbestimmtheit, im Neoliberalismus, einen ausschließlich marktradikalen Charakter erlangten. Das womöglich prägendste Beispiel ist die Unterstützung des Militärputsches in Chile 1973 durch Friedrich Hayek und andere wichtige Teile der Mont Pelerin Society. Mit Hilfe der sogenannten „Chicago Boys“ wurde nach dem Sturz von dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende ein neoliberales Militärregime errichtet, das unfassbares Leid über die Bevölkerung brachte. Zehntausende Menschen wurden ermordet, verfolgt und gefoltert. Währenddessen arbeitete Pinochet mithilfe von Hayek an der großen neoliberalen Wirtschaftsreform die als „Schocktherapie“ in die Geschichte einging: Privatisierungen, eine starke Verringerung von staatlichen Ausgaben und eine radikale Deregulierung waren die Folge. Dieses Beispiel zeigt die antidemokratische Haltung von radikal neoliberaler Praxis. So sagte auch Friedrich Hayek selbst: „I prefer a liberal dictator to democratic government lacking liberalism”.
Ungleichheit & Aushöhlung der Demokratie
Austerität und neoliberale Wirtschaftspolitik beeinflussen die Gesellschaft auf unterschiedliche Art und Weise. Eine wesentliche Folge ist die Verstärkung von ökonomischer Ungleichheit. Die Anzahl der Milliardär*innen steigt und auch ihr Vermögen, während die relative Armut von Menschen gleichzeitig zunimmt. Die Kosten des alltäglichen Lebens werden immer höher, während staatliche Absicherungssysteme ausgedünnt oder sogar abgeschafft werden. Deregulierungen führen zu einer Prekarisierung am Arbeitsmarkt: Neue Dienstverhältnisse, die schlechtere rechtliche Absicherungen für Arbeiter*innen vorsehen, Einsparungen und Privatisierungen in den Pensionssystemen und Kürzungen bei der Arbeitslosenversicherung sind nur Beispiele der weitreichenden Folgen.
Austeritätspolitik kann auch nicht nur innerhalb von Nationalstaaten betrachtet werden. Die Folgen von Austerität sind global spürbar und haben Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse geschaffen, die unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Gruppen haben. Sei es die Entstehung von globalen Care-Chains, bei denen Reproduktionsarbeit und das damit einhergehende Prekarität an migrantische Frauen weitergegeben wird, die massive Ausbeutung der Umwelt oder der stets abnehmende gesellschaftliche Nutzen von politischen Entscheidungen – all das sind Ergebnisse einer neoliberalen Austeritätspolitik.
Die Folgen beschränken sich dabei bei Weitem nicht nur auf den ökonomischen Bereich. Auch der demokratische Diskurs verändert sich durch Sparpolitik und die einhergehende Ökonomisierung. Debatten, die ursprünglich politische waren und anhand von Wertehaltungen diskutiert wurden, werden immer mehr durch vermeintlich neutrale Bewertungskriterien abgelöst. Entscheidungen werden so danach getroffen, wie effizient oder gewinnbringend sie sind, anstatt über den gesellschaftlichen Nutzen, die Auswirkungen auf Menschen und Umwelt oder die Bedürfnisse von Menschen zu sprechen.
So ist es auch nicht überraschend, dass sich immer weniger Menschen von der Politik vertreten fühlen. Laut der Ö3-Jugendstudie haben immer mehr Jugendliche das Gefühl, in Schule und Ausbildung nicht mitbestimmen zu können. Gleichzeitig fand die Studie heraus, dass junge Menschen bei mangelnden Mitbestimmungsmöglichkeiten eher zugänglich sind für rechtes und antidemokratisches Gedankengut.
“Wenn wir also wollen, dass das Vertrauen in die Demokratie zurückkehrt, müssen wir der Ökonomisierung unserer Gesellschaftsbereiche entgegenwirken und Entscheidungen wieder re-politisieren.”
Unsere Antwort: Kampfansage!
Austerität ist eine politische Kampfansage der bürgerlichen Klasse. Jene, die auf Lohnarbeit oder andere prekäre Formen von Arbeit für den Erhalt ihrer Existenz angewiesen sind, werden durch Sparmaßnahmen gleich doppelt ausgebeutet. Einerseits bekommen sie einen noch kleineren Teil von dem, das sie mit ihrer Arbeitskraft geschaffen haben und zusätzlich werden Systeme, die zur sozialen Sicherheit von Menschen beitragen, zerschmettert.
Die neoliberale Ideologie des zurückgedrängten Staates führt zu einem marktradikalen Wirtschaftssystem, das Reiche noch reicher macht und die arbeitende Bevölkerung verarmen lässt. Als Sozialist*innen müssen wir dieser Ideologie den Kampf ansagen! Stattdessen müssen wir für ein Wirtschaftssystem einstehen, in dem die Bedürfnisse von Mensch & Umwelt an erster Stelle stehen – und das über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Wir dürfen nicht aufhören zu benennen, wo Sparpolitik endet und wie verheerend die Auswirkungen sind. Und am Ende des Tages braucht es eine organisierte Arbeiter*innenklasse, die letztendlich die Abschaffung dieses Systems der Ausbeutung und Ungleichheit erkämpft!