Warum Austeritätspolitik die Demokratie gefährdet

Jakob Rennhofer

Immer dann, wenn linksliberale politische Kräfte einem Sparkurs verfallen, dürfen die Rechten zu jubeln beginnen. Der Rechtsruck wird damit nicht gestoppt, sondern nur weiterbefördert. Die Rückkehr der Austeritätspolitik zeigt jedoch deutlich: Man braucht keine Angst davor haben, dass rechte Parteien in Regierungsverantwortung die Demokratie unterminieren - das haben wir immer selbst noch geschafft.

 

Immer dann, wenn linksliberale politische Kräfte einem Sparkurs verfallen, dürfen die Rechten zu jubeln beginnen. Der Rechtsruck wird damit nicht gestoppt, sondern nur weiterbefördert. Die Rückkehr der Austeritätspolitik zeigt jedoch deutlich: Man braucht keine Angst davor haben, dass rechte Parteien in Regierungsverantwortung die Demokratie unterminieren - das haben wir immer selbst noch geschafft.

Die in Massachusetts lehrende deutsche Volkswirtin Isabella M. Weber ist seit Beginn der Inflation im Zuge des Ukraine-Krieges zu einem neuen Star der neo-keynesianischen Ökonomik geworden. Sie gilt u.a. als Erfinderin der „Gaspreisbremse“ in Deutschland, die die Gaspreise zu kritischen Zeitpunkten in den vergangenen Jahren tatsächlich deutlich niedriger hielt als zu Beginn in Österreich.

Mittlerweile wird sie allerdings mit einem weiteren Begriff in Verbindung gesetzt, der vor allem nach der Wiederwahl Donald Trumps international Wellen geschlagen hat: Die Notwendigkeit einer „antifaschistischen Wirtschaftspolitik“. Der Begriff leuchtet schnell ein: Parteien der „demokratischen Mitte“, die in Regierungsverantwortung weder dazu bereit sind, etwas gegen die Inflation noch gegen die zunehmende Ungleichheit zu unternehmen, erledigen den Wahlkampf der Rechten quasi schon von selbst. Um einen weiteren Rechtsruck zu bremsen, braucht es also eine „antifaschistische Wirtschaftspolitik“ – und damit eben jene neo-keynesianische Form des Staatsinterventionismus, die gerade wieder einen Aufwind bekommt. 

Dieser Analyse ist grundsätzlich zuzustimmen: Tatsächlich könnte ein wirtschaftspolitisches Umschwenken in Bezug auf Inflation und Umverteilung den Rechten kurzzeitig die Zähne ziehen. Dennoch handelt es sich bei dieser Auffassung von „antifaschistischer Wirtschaftspolitik“ vielmehr um Symptomlinderung, die die ursächliche Problemstellung nicht lösen kann. Astrid Zimmermann hat das in Jacobin gut auf den Punkt gebracht:

„[D]ie »antifaschistische Wirtschaftspolitik«, so wie sie gegenwärtig innerhalb der deutschen Linken diskutiert wird, stößt an gewisse Grenzen. Das skizzierte Maßnahmenbündel ist im Grunde eine Handvoll keynesianischer Reformvorschläge. Das ist am Ende immer noch eine Form der Technokratie – nur eben eine progressive. (…) [W]er antifaschistische Wirtschaftspolitik nur als konkrete Policy-Forderungen denkt, läuft nicht nur Gefahr, sich Politik als eine Art Fürsorge-Dienstleistung vorzustellen und die Bevölkerung als deren passiven, stummen Empfänger, sondern der unterschätzt auch, wie sehr die Kräfteverhältnisse unserer Gesellschaft in den letzten Jahren zugunsten der Besitzenden verschoben wurden.“1

Was Zimmermann hier implizit anspricht, ist die Erosion der Demokratie durch das Kapital und den Staat als „ideellen Gesamtkapitalisten“ in den vergangenen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Selbst wenn es also zu einem unerwarteten Shift in der Wirtschaftspolitik kommen sollte, wird dieser wieder nur „technokratisch“ für den demos, also das Volk, angeordnet – nach dem Motto: „Dann geben wir ihnen halt ein bisschen Zucker, damit die extreme Rechte nicht an die Macht kommt und dem Kapital möglicherweise noch mehr schadet“. Dadurch kommt vielleicht etwas mehr gesellschaftlicher Wohlstand, aber nicht die Souveränität des demos zurück.

Was vom demos übrigblieb

Die zentrale Frage lautet: Wie kommt es, dass sich große Teile der arbeitenden Bevölkerung als von der Politik „ignoriert, ungehört, ausgestoßen“ empfinden? Und war dem nicht schon immer so?

Klar ist jedenfalls, dass qua der Form der „repräsentativen“ Demokratie immer eine gewisse Entfremdung des politischen Subjekts vom demokratischen Prozess vorhanden sein wird, doch der Grad dieser Entfremdung ist entscheidend. Der Politikwissenschaftler Anton Jäger unterscheidet in seiner Studie „Hyperpolitik“2 zwischen vier verschiedenen politischen Modi seit Ende des Zweiten Weltkrieges: Massenpolitik, Post-Politik, Anti-Politik und Hyperpolitik. 

Die Massenpolitik, wie sie bis in die 1980er Jahre hinein im gesamten Westen vorherrschend war, hing stark mit dem fordistischen Akkumulationsregime zusammen. Soll heißen: Der institutionalisierte Klassenkompromiss spiegelte sich in einem vergleichsweise hohen Lohnniveau, allerdings auch einem hohen Grad an Politisierung und vor allem Institutionalisierung zusammen. Mit „Institutionen“ sind in erster Linien Gewerkschaften und Massenparteien, aber auch lokale Vereine, Interessensgruppen, Initiativen, ja sogar Orte wie die Kirche oder das Ortswirtshaus gemeint. 

Mit Beginn der neoliberalen Ära ab Mitte der 1980er Jahre wurden diese „Institutionen“ immer schwächer, zumindest im Vergleich zu den Jahren zuvor. Gleichzeitig nahm der Grad der Politisierung ab. In dieser historischen Konstellation war es dank der sich durchsetzenden neoliberalen Ideologie möglich, die Gesellschaft durchzuatomisieren und die Rolle der Gewerkschaften entweder abzuschwächen oder gar ganz zu zerschlagen (siehe Thatcher’s Großbritannien). 

Mittlerweile – so Jäger – würden wir uns nicht mehr in diesem post- bzw. antipolitischen Zeitalter befinden, sondern in einem hyperpolitischen. Hyperpolitik bedeutet, dass die Menschen höchst politisiert sind, dies sich jedoch nicht in der Institutionalisierung widerspiegelt. Doch ohne diese Institutionalisierung können politisch tatsächlich relevante Veränderungen wenig bis kaum stattfinden. Diese Dynamik ist der Grund dafür, dass der politische Diskurs von identitätspolitischen Belanglosigkeiten geprägt ist und Debatten zu grundlegenden Themen meist nicht im Wirtshaus, sondern höchstens (!) in ORF-Talkshows diskutiert werden.

Nikolaus Dimmel und Josef Schmee greifen diese Thesen in ähnlicher Form in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Ende der Fahnenstange“ auf und versuchen, sie auf die Republik Österreich anzuwenden. Sie kommen zum Schluss:

„Das repräsentativ-demokratische System ist über die Trajektorie von Post-Demokratie zur Post-Politik und von dort zur Anti-Politik hinweg faktisch durchgemorscht. (…) Exekutive und Judikative haben sich gegenüber dem Souverän verselbstständigt, indem sie Verfassungsrecht setzen und autonom interpretieren, indem sie die materielle Bestimmtheit des Rechts durch unbestimmte Rechts- und Ermessenbegriffe homöopathisch ausdünnen, indem sie Interventionsspielräume jenseits des Legalitätsprinzips geschaffen haben. Kurz: Der Souverän, der sich durch einen beschränkt ermächtigten, in drei Gewalten zerlegten Staatsapparat selbst regieren sollte, wird von einem dem Demos unverfügbar gewordenen Staatsapparat regiert. (…) Tatsächlich offerieren die Programme der im National Rat vertretenen Parteien bloß unterschiedliche Varianten ein und derselben Kapitalismusverwaltung.“3

 

Austeritätspolitik contra Demokratisierung

Was haben nun all diese demokratietheoretischen Exkurse mit der Kritik der Austeritätspolitik zu tun? Es lässt sich jedenfalls feststellen, dass die Unverfügbarkeit des demos, tatsächlich über sich selbst zu regieren, u.a. in der Tatsache gegründet ist, dass Austeritätspolitik immer als alternativlos und notwendig verkauft wird. Die Frage, was im Moment allerdings als alternativlos erscheint, ist keine technokratisch, objektiv begründbare, sondern eine politische. Dass die Bevölkerung in der gesamten Europäischen Union auf sozialpolitisch „harte Zeiten“ eingestimmt wird, während problemlos Milliarden für Militarisierung eingesetzt werden, zeigt recht deutlich, dass die Frage der Alternativlosigkeit hegemonial bestimmt wird.

Eine echte Demokratisierung der Gesellschaft steht der Austeritätspolitik also diametral entgegen. Schlimmer noch: Die Austeritätspolitik höhlt das, was von der Demokratie noch geblieben ist, von innen aus. Das Volk, das eigentlich darüber entscheiden sollte, „wofür“ Geld da ist und wofür eben nicht, wird zwar von gewählten, aber eben nicht dafür gewählten Politiker*innen und Expert*innen auf die Alternativlosigkeit eines für die Masse immer schlechter werdenden Lebens eingestimmt. Um zum Begriff der „antifaschistischen Wirtschaftspolitik“ zurückzukehren: Ja, ein Ende des neoliberalen Mainstreams ist wünschenswert. Doch die langfristige Lösung kann nur in einer demokratischen Gesellschaft liegen, in der der demos die Souveränität zurückerlangt und nicht nur darüber entscheiden kann, wofür der Staat „Geld“ ausgibt, sondern auch, wie wir unsere Produktion und Distribution gesamtgesellschaftlich neu gestalten können.

 

Quellen: 

1 Zimmermann, Astrid (30. Mai, 2025): Antifaschistische Wirtschaftspolitik ist gut, aber nicht genug. Jacobin. https://jacobin.de/artikel/klassenkampf-rechtsruck-solidaritaet-arbeitskampf-organisierung-antifa-linke-rechtsextremismus-afd-populismus

2 Jäger, Anton (2023): Hyperpolitik. Extreme Politisierung ohne politische Folgen. Aus dem Englischen von Daniela Janser, Thomas Zimmermann und Heinrich Geiselberger. Berlin: Suhrkamp. 

3 Dimmel, Nikolaus; Schmee, Josef (2025): Ende der Fahnenstange. Ein Nachruf auf die Republik. Wien: bahoe books. S. 9 – 13.