Austerität in Griechenland: Griechenlands Rettung, die keine war!
Jakob Jäger
Griechenlands vermeintliche „Rettung“ in der Eurokrise zeigt bis heute, wie zerstörerisch eine harte Sparpolitik wirken kann. Statt Stabilität brachte sie sinkendes BIP, hohe Arbeitslosigkeit und Armut – während die Staatsverschuldung weiter wuchs. Griechenland als Beispiel Neoliberaler Sparpolitik.
Wir schreiben das Jahr 2025: Österreich hat von seiner neuen Bundesregierung, bestehend aus ÖVP, SPÖ und NEOS, ein Sparpaket verordnet bekommen. Viele Inhalte dieses Sparpakets stammen noch aus den gescheiterten Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP.1 Obwohl Österreichs Wirtschaftswachstum im Keller ist und die Bevölkerung noch immer mit einer durchschnittlichen Teuerung von 3 % zu kämpfen hat, besteht die Budgetkonsolidierung zu rund drei Vierteln aus Sparmaßnahmen, die hauptsächlich die einfachen Haushalte treffen.2 Nur ein Viertel des 6,4 Milliarden schweren Pakets besteht aus erhöhten Steuereinnahmen, etwa der erhöhten Bankenabgabe, die einen Verhandlungserfolg der SPÖ darstellt.
Die Richtung für die nächsten Jahre ist jedenfalls klar: Gürtel enger schnallen und sparen. Dabei hält man sich brav an das Rezept, welches Neoliberale seit jeher allen an hohen Schulden erkrankten Staaten verschreiben. Wir sollten dabei festhalten, dass dieses Rezept der beinharten Austeritätspolitik, in den seltensten Fällen funktioniert. Oftmals reitet genau diese Sparpolitik Länder noch tiefer in die Krise. Das tragischste Beispiel dafür ist zweifellos Griechenland. Das Land wurde als Folge der Eurokrise und im Rahmen eines gigantischen „Rettungsschirms“ von Brüssel zu einem Sparkurs gezwungen, von dessen Schäden es sich heute, mehr als zehn Jahre später, noch immer erholen muss.
Die Eurokrise
Die Eurokrise, die in den frühen 2010er Jahren unter anderem auch Spanien, Portugal, Italien und Irland betraf, beschreibt den Zeitraum, in dem sich die griechische Notlage zuspitze. Vereinfacht gesagt bestand das Problem darin, dass die Staaten nach der Finanzkrise 2008 aufgrund der enormen Ausgaben für Bankenrettungen stark ansteigende Staatsschulden und damit auch schlechtere Ratings auf den internationalen Finanzmärkten hatten. Das führte dazu, dass es für die Länder enorm teuer oder nahezu unmöglich wurde, neue Schulden aufzunehmen – um in die eigene Wirtschaft zu investieren oder alte Schulden abzubezahlen.
Was die Situation im Falle Griechenlands besonders dramatisch machte, war die gemeinsame europäische Währung. Noch vor ein paar Jahrzehnten hätte man wohl mit einer Abwertung der eigenen Währung reagieren können und damit die Schulden zumindest proportional reduziert. Nun war man allerdings Teil der Eurozone, dessen Zentralbank nicht in Athen, sondern in Frankfurt saß und deren Priorität nicht die Rettung der griechischen Wirtschaft, sondern eine länderübergreifende Preisstabilität war.3
Die Kapitulation der Linken vor der Austerität
Um die enormen Staatsschulden in den Griff zu bekommen, setzte sich die sogenannte Troika ab 2010 mit der griechischen Regierung an den Verhandlungstisch und vereinbarte Hilfskredite im gigantischen Ausmaß von 80 Milliarden Euro – unter der Bedingung, dass der Staat am Mittelmeer ab sofort einen harten Sparkurs fahre. Die Troika, ein Zusammenschluss aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission, missachtete dabei nicht nur das Leid der von den Sparmaßnahmen betroffenen Bevölkerung, sondern auch jegliche volkswirtschaftliche Logik.
Im Jahr 2015 hatten die Griech*innen genug von der Bevormundung Brüssels und wählten mit 36 % die sozialistische „SYRIZA“ zur stärksten Partei. Anders als die vorherigen Regierungen hatte der neue Finanzminister Yanis Varoufakis das klare Ziel, die vorgegebenen Austeritätsmaßnahmen zu beenden.
“Die linke SYRIZA stimmte unter einem neuen Finanzminister schließlich dem zweiten Sparpaket der Troika zu und zerstörte damit das Vertrauen ihrer Wähler*innen. Denn von diesen wurden sie gewählt, um genau das Gegenteil zu tun. ”
Da sich dieses Unterfangen jedoch als nahezu unmöglich herausstellte, griff die griechische Regierung zu einem Mittel der Verzweiflung und rief ein Referendum aus. Dort sollte de facto darüber abgestimmt werden, ob man erneute Sparmaßnahmen akzeptiere oder nicht. Zum Schock vieler internationaler Beobachter*innen stimmten die Griech*innen mit 61 % klar für „OXI“ – also „Nein“. Obwohl die SYRIZA damit Rückendeckung aus der Bevölkerung erhilt, gab Premierminister Alexis Tsipras (SYRIZA) dem Druck aus Brüssel nach. Er erklärte Varoufakis, dass er sich von einer anderen Person bessere Verhandlungsergebnisse erwarte, woraufhin der Finanzminister mit folgenden Worten seinen Rücktritt bekannt gab: „Ich werde die Abscheu der Kreditgeber mit Stolz tragen.“4 Die linke SYRIZA stimmte unter einem neuen Finanzminister schließlich dem zweiten Sparpaket der Troika zu und zerstörte damit das Vertrauen ihrer Wähler*innen. Denn von diesen wurden sie gewählt, um genau das Gegenteil zu tun.
Das Ausmaß der Sparmaßnahmen
Die gesamten Austeritätsmaßnahmen, der griechischen Regierungen zwischen 2010 und 2015, und auch danach noch umsetzen mussten, würden den Rahmen dieses Artikels sprengen. Diese Auswahl verdeutlicht jedoch die Dimensionen und zeigt unter Welchen Maßnahmen die Bevölkerung leiden musste:
- Kürzungen bei Pensionen
- Erhöhung des Pensionsantrittsalters auf 65 für Männer und Frauen
- Anhebung des Mehrwertsteuersatzes von 19 % auf 23 %
- Senkung des Mindestlohns von 750 auf 585 €
- Senkung des Einkommensteuerfreibetrags von 12.000 auf 5.000 € (eine de facto Erhöhung der Einkommensteuer)5, 6
Auch nachdem die Bevölkerung 2015 mit 61 % gegen weitere Austeritätsmaßnahmen gestimmt hatte, gab die SYRIZA-geführte Regierung dem Druck der Troika nach und beschloss zusätzlich: Anhebung des Pensionsantrittsalters auf 67, Verfünffachung der Dieselsteuer in der Landwirtschaft, erneute Anhebung der Mehrwertsteuer auf 24 %, weitere Kürzungen bei Pensionen und höhere Kraftstoffsteuern.7 Dazu mussten außerdem die größte staatliche Stromgesellschaft, die staatlichen Eisenbahnen sowie der Flughafen Athen und der Hafen von Thessaloniki privatisiert werden – wobei es verscherbelt bei diesen Verkaufspreisen her treffen würde.8
Keine positiven Folgen
Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Austeritätspolitik habe gewirkt. Immerhin stagniert die absolute Staatsverschuldung und liegt mit ca. 350 Mrd. Euro auf demselben Niveau wie 2011. Dem Höchststand während der Eurokrise. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Die Austeritätspolitik war eine Katastrophe – für Bevölkerung, Wirtschaft und Staatsschuldenquote.
Die Sparmaßnahmen brachten die Kaufkraft der Bevölkerung und damit die Wirtschaft weitgehend zum Erliegen. Das nominale BIP ist im Zeitraum 2008–2016 gesunken, hat sich bis heute nicht vollständig erholt und liegt 2025 noch immer deutlich unter Vorkrisenniveau. Die Folge: Die Staatschuldenquote beträgt 2025 noch 149,1 % – rund 50 Prozentpunkte mehr als vor der Finanzkrise.9
Neben den nackten Zahlen, dürfen die Auswirkungen auf das Leben der Menschen nicht vergessen werden. Obwohl die Griech*innen im Schnitt 41 Stunden pro Woche arbeiten – EU-weit Platz 1 – spiegelt sich das kaum im Wohlstand wider: Mehr als ein Viertel lebt in oder an der Schwelle zur Armut.10 Auch die Arbeitslosigkeit lag 2024 mit 10 % deutlich über dem EU-Schnitt, die Jugendarbeitslosigkeit war mehr als doppelt so hoch und steht symbolisch für die zahlreichen Probleme. Die anhaltenden Sparmaßnahmen lassen wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand kaum gedeihen und viele ländlichere Regionen sterben zunehmend aus, wobei die jungen, in der Hoffnung auf bessere Zukunftschancen oftmals auch Griechenland komplett verlassen.
15 Jahre Austerität – zum Scheitern verurteilt
Das Fazit nach 15 Jahren Austerität in Griechenland fällt deprimierend aus. Traurig und schockierend zugleich an, dieser Sparpolitik ist, dass sie von Beginn an zum Scheitern verurteilt war – und dennoch von Entscheidungsträger*innen der EZB, des IWF und der EU-Kommission durchgesetzt wurde. Ihnen Inkompetenz zu unterstellen, wäre absurd. Viel eher liegt der Verdacht nahe, dass Griechenland nie gerettet, sondern als Exempel statuiert werden sollte.
Wie Clara Mattei in ihrem Buch „The Capital Order“ schreibt, soll Austerität die Wirtschaft gar nicht stabilisieren, sondern die Produktionsverhältnisse. Vielleicht hat man also in erster Linie gar nicht versucht, der Wirtschaft Griechenlands zu helfen, sondern die neoliberale Wirtschaftsordnung der EU aufrechtzuerhalten. Zumindest das ist jedenfalls gelungen.
Quellen:
1 https://www.derstandard.at/story/3000000258778/zweites-sparpaket-fuer-oesterreich-wenn-das-erstenicht-reicht-dann-zertreten-wir-das-wachstum
2 https://www.momentum-institut.at/wp-content/uploads/2025/02/Verteilungscheck-Regierungsprogramm-2025.pdf
3 https://www.yanisvaroufakis.eu/2013/11/16/being-greek-and-an-economist-while-greece-burns-an-intimateaccount-mgsa-keynote-2013/#more-4767
4 https://www.yanisvaroufakis.eu/2015/07/06/minister-no-more/
5 https://www-cdn.oxfam.org/s3fs-public/file_attachments/cs-true-cost-austerity-inequality-greece-120913-en_0.pdf
6 https://en.wikipedia.org/wiki/Greek_austerity_packages
7 https://en.wikipedia.org/wiki/Greek_austerity_packages
8 https://www.reuters.com/article/world/europe/greece-concludes-sale-of-trainose-to-italian-railwaysidUSKBN15218R/
9 https://minfin.gov.gr/wp-content/uploads/2024/10/Greece_DBP_2025_final-1.pdf
10 https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Wochenarbeitszeiten.html
11 https://de.euronews.com/2024/09/13/abwanderung-griechenland-verliert-jugendc
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