Was tun mit dem Bundesheer?

Bernhard Bresgen

Gerade in linken Kreisen gehören Debatten über Militär und das Bundesheer nicht zu den leichtesten. Zu groß ist oft die Distanz zwischen den realen Verhältnissen und den idealen Vorstellungen. Wo für uns in diesem Spannungsfeld eine anwendbare Position zu finden ist, bei der wir gleichzeitig unsere ideologischen Ziele nicht aus den Augen verlieren, dabei soll dieser Artikel weiterhelfen.

Antimilitarismus und Wehrpflicht – Ein Widerspruch?

Als Sozialistische Jugend verstehen wir uns als Anti-Militarist*innen. Uns ist bewusst, dass der Sinn und Zweck eines stehenden Heeres grundsätzlich auch die Verteidigung des „bürgerlichen“ Staates nach innen ist. Aufgabe eines Bundesheeres wäre daher auch die aktuellen Verhältnisse zu erhalten und z.B. gegen eine Revolution zu verteidigen. Da das Militär in einer bürgerlichen Demokratie also im Fall der Fälle die Interessen der besitzenden Klassen verteidigt, haben wir daher einen grundsätzlich kritischen Blick auf das Bundesheer. Langfristig – und im Ideal – sind wir gegen ein Bundesheer bzw. für dessen Abschaffung. 

Andererseits ist diese ideologisch schlüssige Haltung auf unsere politische Realität kaum, eigentlich gar nicht anwendbar. Erstens ist unsere Welt – auch wenn es uns nicht gefällt – heute nach dem Grundprinzip des Nationalstaats geordnet. Genau wie beim Militär ist uns auch hier der eigentliche Zweck bewusst: das Vertuschen von Klassengegensätzen durch das Erfinden scheinbarer nationaler Einheit ist. Die Überwindung des Nationalstaats muss daher auch in unserer idealen Weltanschauung Platz finden. Bisher gibt es allerdings keine erfolgreichen Strategien, um das zu verwirklichen und besonders in Krisenzeiten wie jetzt lassen sich verängstigte Massen von der simplen Idee der Nation leichter abholen als von Klassengegensätzen, die in unserer Gesellschaft schwerer zu vermitteln sind. Zweitens soll das Militär auch die Verteidigung eines Nationalstaates gegen einen anderen sichern. Das Militär zieht seine Legitimation somit aus der Existenz des Rechtsstaats. Ohne eine internationale Bewegung, die die „Hegemonie der Nation“ erfolgreich bekämpft, müssen wir also Ansätze finden mit dem Nationalstaat und somit mit dem Militär zurechtzukommen. 

 

“Weder ist es sinnvoll dogmatisch die Abschaffung des Bundesheeres zu fordern noch unkritisch unsere anti-militaristische Grundhaltung im Namen realpolitischer Positionen aufzugeben.”

Abgesehen von einem Idealbild benötigen wir auch eine Position, die den gegenwärtigen Verhältnissen gerecht wird. Ein Teil davon ist unsere, für manche Linke überraschende, Befürwortung der Wehrpflicht. Aus der historischen Herleitung ist diese aber absolut sinnvoll: Im Bürgerkrieg 1934 war es ein von faschistischen Kräften unterwandertes Bundesheer, das dabei half, die sozialistische Revolution niederzuschlagen und dadurch Dollfuß autoritären Ständestaat ermöglichte. Um solch eine wiederholte Unterwanderung zu verhindern ist es besser, wenn das stehende Heer zum Großteil aus der Teilen der breiten Bevölkerung besteht und nie eine Art „bourgeoise Miliz“ werden kann.

Weder ist es sinnvoll dogmatisch die Abschaffung des Bundesheeres zu fordern noch unkritisch unsere anti-militaristische Grundhaltung im Namen realpolitischer Positionen aufzugeben.

Was tut das Bundesheer?

Die öffentliche Wahrnehmung des Bundesheeres ist häufig die einer geldfressenden und ineffizienten Lachnummer. Die Eurofighter oder Grundwehrdienst-Stories von sinnloser Zeitverschwendung dienen da als bekannteste Beispiele. Dabei macht das Bundesheer auch nützliche Dinge. Besonders im Katastrophenschutz – ob es Murenabgänge, Waldbrände, Lawinen, Hochwasser, etc. – erfüllt es eine tatsächlich sehr wichtige Aufgabe, wie vor kurzem durch die Unterstützung bei Bergungsarbeiten nach starken Erdbeben in der Türkei. Hier könnte eine anti-militaristische Position sein, dass diese Aufgaben nicht zwingend in den Händen eines Bundesheeres sein müssen, sondern auch eine eigene Organisation speziell dafür aufgebaut werden könnte. Ansonsten beteiligt sich das Bundesheer Stand heute an „Peacekeeping“ – Missionen im Kosovo, Bosnien und im Libanon. Auch wenn diese nicht vollkommen kritikfrei sind – vor allem die EU-Operation Althea in Bosnien – erfüllen sie zumindest im Großen und Ganzen friedenserhaltende Aufgaben. 


Damit ist man mit dem Lob aber schon ziemlich am Ende, da viel von dem, was das Bundesheer tut, eher problematisch ist. Unter dem Deckmantel von „Ausbildungsmissionen“ trainieren und beraten österreichische Truppen seit 2013 in Mali und seit 2023 im Niger örtliche Streitkräfte. Die offizielle Begründung dieser EU-Missionen ist, die Stabilität in diesen Staaten in der Subsahara zu fördern, da besonders Mali immer wieder von Bürgerkrieg betroffen war. Kritische Stimmen unterstellen aber ganz andere Motive: Durch die Region führen viele Fluchtrouten aus Subsahara-Afrika nach Europa. Durch die Unterstützung des lokalen Militärs erhoffe sich die EU, dass diese dann schutzsuchende Menschen schon dort aufhalten. Der Zweck oder der Effekt der Mission ist also die europäischen Außengrenzen etwas weiter von Europa wegzuschieben und deren „Sicherung“ auch noch auszulagern. Dadurch beraubt man Menschen des Menschenrechts, um Asyl anzusuchen, und man fördert imperialistische Strukturen, indem gewisse Länder in eine erhöhte Abhängigkeit von Europa geraten.

Diese Beteiligung Österreichs müssen wir auf das Schärfste kritisieren und dafür kämpfen, dass sie eingestellt werden. Mit dem Wissen über diese Unternehmungen der EU, lässt sich nur erahnen, welche Aufgaben die nun ins Leben gerufene EU-Eingreiftruppe erfüllen wird.
Seit 1995 ist Österreich außerdem Mitglied der „NATO-Partnerschaft für den Frieden“. Vor allem beteiligt man sich hier an der KFOR-Mission, die das Ziel hat, eine Eskalation im Konflikt zwischen Serbien und Kosovo zu verhindern. Andererseits nahm man im Rahmen dieser Partnerschaft auch wiederholt an NATO-Übungen Teil, trainierte NATO-Truppen im Gebirgskampf, und hielt sogar Übungen zusammen mit NATO-Staaten in Österreich ab. Es ist schon grundsätzlich zu hinterfragen, ob all das – abseits aller ethischer Bedenken – mit der österreichischen Neutralität vereinbar ist. Unabhängig von der Position zur Neutralität, kann die Vernetzung mit imperialistischen Militärbündnissen nicht für uns Sozialist*innen akzeptabel sein.
Auch dürfen wir die rechten Strukturen im Bundesheer nie vergessen, da sie dauerhaft eine Gefahr für Gesellschaft und Demokratie darstellen. Wenn unsere Zustimmung zur Wehrpflicht genau dem Argument entspringt, das Bundesheer sollte nicht von faschistischen Kräften unterwandert werden, brauchen wir Antworten auf die vorhandenen Strukturen.

Mit der Ausnahme von Krisen- und Klimaschutz gibt es also kaum etwas, was das Bundesheer tut, wo wir als Linke nicht Kritik äußern und Veränderung fordern sollten.

"Wenn unsere Zustimmung zur Wehrpflicht genau dem Argument entspringt, das Bundesheer sollte nicht von faschistischen Kräften unterwandert werden, brauchen wir Antworten auf die vorhandenen Strukturen."

Die Zukunft des Bundesheers?

Wie soll die Zukunft des Bundesheeres aussehen? Die breite Invasion Russlands in die Ukraine hat das allgemeine Sicherheitsdenken in Europa grundlegend verändert. Kurz gesagt, hat Europa spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die eigene Sicherheit an die NATO und damit Großteils an die USA ausgelagert. Seit Februar 2022 beschäftigen sich auch die westeuropäischen Staaten wieder mit Sicherheitsfragen – das prominenteste Beispiel das Sonderbudget der deutschen Bundeswehr. Österreich rettet sich über die Neutralität aus dieser Frage. Paradoxerweise ist genau das eigentlich ein Problem für uns Sozialist*innen. Denn wenn Österreich Sicherheitsfragen – um die wir ob der globalen Verhältnisse nicht herumkommen – an die NATO oder eine EU-Armee aka „NATO-lite“ auslagert, beteiligen wir uns, ob direkt oder über Finanzierung, an Militärbündnissen, die sich zwar als Verteidigungsbünde framen, aber in der Realität dann meistens die imperialistischen Interessen einzelner großer Staaten verfolgen. Das zu unterstützen kann nicht im Sinne unserer politischen Einstellung sein. Das Bundesheer muss daher in irgendeiner Form so organisiert werden, dass Österreich unabhängig von den genannten Bündnissen seine Sicherheit garantieren kann, oder eine EU-Armee muss in einer Form aufgebaut sein, dass es eben keine imperialistischen oder menschenrechtsverletzenden Missionen durchführt, sondern nur die militärische Verteidigung Europas sichert. Wir müssen uns trotzdem klar gegen das große Aufrüsten positionieren, da erstens Hochrüsten noch nie das Verhindern eines Krieges garantiert hat, und zweitens die USA uns mit ihren sozialen Verhältnissen zeigt, auf wessen Kosten intensive Aufrüstung geht. 
Gleichzeitig braucht das Bundesheer nach innen Reformen. Ineffizienzen müssen behoben und die rechten Strukturen bekämpft werden. Besonders bei der Bekämpfung rechter Strukturen braucht es eine Kontrolle von außen, da sich diese Kreise nicht selbst kontrollieren werden.


Gut möglich, dass das alles etwas imperfekt und auch recht unbefriedigend klingt. Persönlich halte ich diese Kompromisse zwischen Ideal und Realität aber für notwendig. Denn wenn wir aus einer nachvollziehbaren, grundsätzlichen Ablehnung von Militär all diese Dinge in den Deutungen und Umsetzungen Konservativen, Neoliberalen und anderen Rechten überlassen, sind die Folgen erheblich schlimmer. Gleichzeitig müssen wir uns auch selbst weiter kritisch betrachten und unsere Positionen in diesen Spannungsfeldern immer wieder neu analysieren und bei Bedarf eine Änderung nicht scheuen.

Zufriedenstellende Positionen zum Militär zu finden ist – wie man sieht – schwierig, weil wir das Militär eigentlich ideell ablehnen, es uns aber auch nicht leisten können, es zu ignorieren. Was also abschließend tun mit dem Bundesheer? Wir sollten dafür einstehen, die sinnvollen Arbeitsbereiche des Bundesheers, wie humanitäre Hilfe oder Katastrophenschutz, zu fördern, und gleichzeitig konsequent dagegen arbeiten, dass das Bundesheer für imperialistische, menschenrechtsverletzende Zwecke verwendet wird oder eine Vernetzungsplattform für Rechtsextreme bietet.