Frontex: Eine EU-Agentur und keine Grundrechte

Flora Felix

Seit dem Jahr 2014 sind laut der NGO Sea Watch über 23.000 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ertrunken. Diese erschreckende Zahl an Todesfällen hat viele Gründe - einer davon heißt Frontex. Denn Frontex ist zentraler Akteur bei der weiteren Abschottung der Festung Europa. Frontex ist die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten ist Frontex primär für den Schutz der europäischen Außengrenzen zuständig. Frontex wurde im Jahr 2004 gegründet, die Rechtsgrundlage, auf der Frontex beruht, wurde nach der Krise der Europäischen Flüchtlingspolitik 2015 überarbeitet. Doch diese Überarbeitung brachte keine Verbesserungen bei der Sicherstellung menschenrechtlicher Standards durch Frontex.

Gerade die Verletzung von Menschenrechten ist ein oft an Frontex gerichteter Vorwurf. Schon Anfang der 2010er-Jahre war Frontex in Verdacht geraten, illegale Push-Backs durchzuführen. Ein internationales Recherchekonsortium, koordiniert von der NGO Lighthouse Reports, stellte im Jahr 2020 fest, dass Frontex möglicherweise an menschenrechtswidrigen Push-Backs an den Grenzen zwischen Griechenland und der Türkei beteiligt war. In diesem Jahr ergaben Recherchen des gleichen Konsortiums, dass die Beteiligung an diesen Push-Backs durch interne Aufzeichnung von Frontex belegt ist. Doch auch an der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei soll Frontex die Überwachung der griechischen Grenzpolizei in Bezug auf die menschenrechtskonforme Behandlung von Geflüchteten gröblich vernachlässigt haben. Selbst die Europäische Agentur für Betrugsbekämpfung (OLAF) stellte diese menschenrechtswidrigen Praktiken bei Frontex fest - Folge war der Rücktritt des Leiters von Frontex. Dieser soll einem Bericht des Europäischen Parlaments zufolge auch die Bestellung von Menschenrechtsbeobachter*innen verzögert haben. Mittlerweile hat Frontex auf Druck des EU-Parlaments mehrere Grundrechtsbeauftragte bestellt - welche Befugnisse diese haben und wie sich diese durchsetzen können, bleibt jedoch fraglich. Das Europäische Parlament hatte die Bestellung von mindestens 20 Grundrechtsbeauftragten verlangt, da es sonst das Budget für Frontex zurückhalten würde. Dies erscheint auch notwendig, hatte doch 2017 das Budget für das Grundrechtsbüro der Agentur weniger betragen als das Budget für Postsendungen. Zwei Jahre später hatte Frontex das Budget zwar gesteigert, allerdings waren der Agentur Grundrechte etwa gleich viel wert wie ihre Öffentlichkeitsarbeit.

 

“All die genannten Menschenrechtsverletzungen sind also keine Zufälle oder Einzelfälle, sondern ein systematisches Problem, welches schon allein in der Aufgabe und dem Hintergedanken, mit welchem Frontex gegründet wurde, wurzeln. Die Reformierbarkeit von Frontex ist in Frage zu stellen.”

Auch die Zusammenarbeit von Frontex mit der sogenannten “libyschen Küstenwache” ist berechtigter Kritik ausgesetzt. In Libyen sind Geflüchtete nachweislich Missbrauch und Folter ausgesetzt. Dennoch sieht Frontex gerne weg, wenn etwa Malta Menschen aus internationalen Gewässern illegal zurück nach Libyen bringt. So hatte Frontex sogar einen derartigen Zwischenfall im Jahr 2020 vertuscht und wollte ihn vor der internen Grundrechtsprüfung geheim halten. Malta hatte damals private Fischkutter angeheuert, um mit dem Vorwand der Corona-Pandemie noch mehr Menschen von der Ankunft in Europa abzuhalten. Laut den eigenen Regeln von Frontex wäre es jedoch dazu verpflichtet, eine Mission sofort abzubrechen, wenn dabei Grundrechte verletzt werden. Die zahlreichen Beispiele zeigen, dass diese Regel nicht eingehalten wird. All die genannten Menschenrechtsverletzungen sind also keine Zufälle oder Einzelfälle, sondern ein systematisches Problem, welches schon allein in der Aufgabe und dem Hintergedanken, mit welchem Frontex gegründet wurde, wurzeln. Die Reformierbarkeit von Frontex ist in Frage zu stellen.

Dass Frontex die Einhaltung von Menschenrechten nicht besonders wichtig erscheint, wird in der breiteren Öffentlichkeit des Öfteren diskutiert. Dazu bedient sich Frontex jedoch auch modernster Rüstungstechnik, wobei die EU-Agentur sich nicht gern auf die Finger schauen lässt. Wie Recherchen des ZDF Magazin Royale belegen, traf sich Frontex zwischen 2017 und 2019 16 Mal mit Vertreter*innen der Rüstungslobby. Dabei ging es nicht nur um “klassische” Rüstungsprodukte wie etwa Handfeuerwaffen, sondern auch um Software zur biometrischen Gesichtserkennung, womit Geflüchtete auch in einer großen Menschenmenge automatisiert erkannt werden sollen. Dies wurde medial nur wenig thematisiert, wohingegen der Ausbau von Gesichtserkennungssoftware in Österreich zu einem großen Aufschrei und zahlreichen parlamentarischen Anfragen führte. 

Das EU-Parlament sprach sich für einen Aufschub der Nutzung von Software zur Erkennung biometrischer Daten aus, allgemein ist diese innerhalb der EU nicht nur hoch umstritten, sondern auch nicht ausreichend rechtlich geregelt. Der Verdacht liegt nahe, dass solche Software an Geflüchteten ausprobiert werden soll. Gerade die Corona-Pandemie befeuerte die europäischen Bestrebungen, eine “Hightech-Grenze” aufzubauen. Die Pandemie wirkte als Katalysator bei der Digitalisierung der Festung Europa. Hinzu kommt, dass Frontex bis 2027 eine “Stehende Reserve” im Umfang von 10.000 Personen bekommen soll - zwar wurde eine Absichtserklärung verabschiedet, wonach diesen Beamt*innen das Tragen von Schusswaffen erlaubt werden soll, doch fehlt bis heute eine Rechtsgrundlage. Dennoch lobbyieren seit 2017 verschiedenste Rüstungsfirmen, um in Frontex einen neuen Großabnehmer für ihre mörderischen Produkte zu gewinnen.

Die logische Konsequenz einer derartigen Aufrüstung der Europäischen Grenzschutzagentur ist die weitere Militarisierung der EU-Außengrenzen. Während Geflüchtete immer weiter entmenschlicht und zu einem Problem gemacht werden, das “gemanaged” werden muss, bleibt das individuelle Recht auf Asyl auf der Strecke. Mit einer derartigen Entmenschlichung und Abstraktion der Problematik geht nicht nur eine erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber Geflüchteten - sowohl von Grenzschutzbeamt*innen als auch in der allgemeinen Bevölkerung - einher, sondern sie dient auch rechtskonservativen bis rechtsextremen Politiker*innen. Die ÖVP ist das beste Beispiel dafür: Außenpolitik sieht sie als Selbstzweck zum Stimmenfang in Österreich. Und so wird reine Macht- und Klientelpolitik auf den Rücken jener gemacht, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung den lebensgefährlichen Weg nach Europa antreten. Dabei ist gerade Frontex mit seiner Untätigkeit und der Missachtung humanitärer Standards verantwortlich für die krisenhaften Zustände an den europäischen Außengrenzen. Dadurch werden wiederum Bilder produziert, mit denen Nehammer, Orbán und co. Stimmung machen können. Die Situation gleicht einem Teufelskreis.

 

“Mit einer derartigen Entmenschlichung und Abstraktion der Problematik geht nicht nur eine erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber Geflüchteten - sowohl von Grenzschutzbeamt*innen als auch in der allgemeinen Bevölkerung - einher, sondern sie dient auch rechtskonservativen bis rechtsextremen Politiker*innen.”

Das operative Budget für Frontex betrug im Jahr 2021 370,4 Millionen Euro - allein mit einem Drittel davon, also 132,8 Millionen Euro, könnte eine Flotte finanziert werden, welche für Seenotrettung im Mittelmeer vollkommen ausreicht. Bei Betrachtung dieser Zahlen wird deutlich, dass es schlicht am politischen Willen scheitert, Menschen auf der Flucht zu retten und das MIttelmeer nicht noch weiter zu einem Massengrab zu machen. Doch 2014 ersetzte die Frontex-Operation Triton die italienische Marinemission Mare Nostrum im zentralen Mittelmeer. Ziel von Mare Nostrum waren sogenannte SAR-Missionen, also Search and Rescue Missionen, wodurch Boote in Seenot aktiv gesucht und die Menschen gerettet werden. Doch während der Triton-Operation wurden Überwachungsaufgaben aufgestockt, während bei humanitären Einsätzen Abstriche gemacht wurden. Die massive Reduktion der SAR-Missionen und der verstärkte Fokus auf Überwachungsaufgaben wird auch in der Nachfolgeoperation Themis fortgesetzt.

Es ist eindeutig, dass Frontex bei zahlreichen Menschenrechtsverletzungen beim sogenannten “Schutz” der Europäischen Außengrenzen nicht nur zusieht, sondern für diese teilweise auch verantwortlich ist. Diese Zustände sind systematisch, schließlich verhelfen sie nicht nur Frontex sondern auch zahlreichen nationalen Politiker*innen zur Legitimation. Die Antwort kann nur sein, Frontex abzuschaffen und endlich Seenotrettung auszufinanzieren. Auf dass das Mittelmeer kein Massengrab mehr sei!