Der Wirtschaftsimperialismus der EU

Bernhard Bresgen

Die heutige EU versucht gerne, sich als das moralische Vorbild der Welt darzustellen. Das tut sie auch beim Außenhandel. Doch ein Blick hinter die Fassade zeigt, dass besonders beim Handel mit dem globalen Süden die Profitinteressen Europas überwiegen. Kurz gesagt, die EU betreibt wirtschaftliche Ausbeutung und Wirtschaftsimperialismus. Wie das funktioniert und wie die EU ihre Handelspartner dazu bringt, dabei mitzumachen, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Wir kennen die Geschichte vom europäischen Tiefkühlhuhn, das in Ghana am Markt verkauft wird, weil es bei uns weggeschmissen werden würde. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie die EU mit dem globalen Süden, und vor allem mit Afrika, handelt und Wirtschaftsimperialismus betreibt. Doch warum ist das problematisch und wer profitiert eigentlich davon?

Beginnen wir beim Freihandel. Freihandel – also der Handel von Waren zwischen verschiedenen Ländern ohne Zollbeschränkungen – ist tief in der DNA der heutigen EU verankert. Schon innerhalb der EU basieren die wirtschaftlichen Beziehungen, also der viel-gelobte gemeinsame Binnenmarkt, genau auf dem Prinzip des Freihandels. Das erhoffte Ziel davon ist, dass Produkte billiger werden und allgemein mehr zwischen Ländern gehandelt wird. Das führt schon zwischen EU-Staaten zu Problemen durch Lohndumping und ähnliches, doch an dieser Stelle soll es darum gehen, wie die EU mit anderen Regionen handelt, besonders mit Afrika.

Auch hier setzt die EU alles auf Freihandel. Schon in den frühen 2000ern begann die EU mit Gesprächen mit zahlreichen Ländern in Afrika, aber auch im Pazifikraum und der Karibik, über sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – kurz WPA. Diese Abkommen sollen Freihandelszonen zwischen der EU und Ländergruppen in diesen Regionen aufbauen. Afrika wurde dabei in vier Gruppen geteilt – West, Zentral-, Süd-, und Süd-Ost-Afrika. In ihrer Erzählung will die EU den Ländern damit angeblich nur Gutes tun. So erhofft man sich gehobenen Wohlstand durch niedrigere Preise und mehr Stabilität. Theoretisch klingt das auch durchaus verlockend: Land A hat z.B. Äpfel aber keine Birnen, Land B hat Birnen aber keine Äpfel. Durch erleichterten Handel zwischen den Ländern hätten am Ende beide Länder Äpfel und Birnen. So die Theorie.

 

“Europäische Konzerne haben es also leichter, in Afrika Fuß zu fassen als afrikanische Konzerne in Europa. Dadurch profitieren die europäischen Konzerne auch mehr davon.”

Jedoch gab es von Anfang an Kritik an dem Vorhaben, von Expert*innen, aber auch von den betroffenen Ländern in Afrika. Das erste Problem ist, dass der Mechanismus – vorhin durch Äpfel und Birnen erklärt – nicht mehr funktioniert, wenn zwischen den Handelspartnern große wirtschaftliche Ungleichheit herrscht. Dann würde das reichere Land, oder in diesem Fall die reichere Region Europa, deutlich mehr davon profitieren. Das liegt daran, dass die Erschließung dieses neuen Marktes für große europäische Exportkonzerne leichter ist als für schwächere Unternehmen in Afrika. 

Der reiche europäische Konzern kann die Logistik für neue Exporte leichter aufbauen, die er vielleicht durch andere Exporte schon hat. Außerdem verdient der europäische Konzern im EU-Binnenmarkt ohnehin schon so viel, dass er seine Exportware viel billiger anbieten kann. Europäische Konzerne haben es also leichter, in Afrika Fuß zu fassen als afrikanische Konzerne in Europa. Dadurch profitieren die europäischen Konzerne auch mehr davon.

Ein zweites Problem ist, dass durch das Verschwinden von Zöllen oder die Abschaffung von Steuern auf gewisse Exportgüter afrikanische Länder erhebliche Staatseinnahmen verlieren. Für viele Länder in Afrika, aber auch im Pazifik und der Karibik, war die EU schon vor den Abkommen einer der wichtigsten Handelspartner. Genau da fallen Zölle nun weg, weshalb die Partnerstaaten im Schnitt ein Viertel ihrer Zolleinnahmen verlieren. In Afrika sind es teilweise sogar bis zu 40%. Dadurch kommen die Länder dann unter Zugzwang, Steuerreformen durchzuführen. Steuerreformen, die einerseits den Vorteil durch geringere Preise schmälern, aber andererseits vor allem staatliche Investitionen erschweren. Gerade Länder, die den Aus- oder gar den Aufbau eines Sozialstaates, eines Bildungswesens, der Infrastruktur, etc. nötig hätten, kommen durch die Freihandelsabkommen, die ihnen doch laut EU helfen sollten, in schwierige Situationen. Nicht zuletzt deshalb, weil die eben gleichen Länder, z.B. in Westafrika, auch noch unter politischer Instabilität und hoher Korruption leiden. In diesem politischen Klima kann man sich dann auch leicht vorstellen, wer von Steuerreformen profitieren wird – die, die es sich leisten können. Die EU hat zwar versucht, diesen Effekt zu mindern, indem die Zölle auf der Seite der Handelspartner nur schrittweise abgebaut werden, doch die Probleme, die durch Zollabschaffungen befürchtet wurden, blieben die gleichen.

Das dritte Problem ist das, weshalb man das Tiefkühlhuhn kennt. Durch Freihandel können europäische Konzerne in die heimischen Märkte in afrikanischen Staaten einwandern und diese dadurch beschädigen. Am einfachsten erklärt man das genau durch das Tiefkühlhuhn. Das ist nämlich oft gar kein ganzes Huhn, sondern oft nur „Reste“ der Lebensmittelproduktion in Europa. Europäer*innen essen lieber Brust und Schenkel und daher bleiben andere Teile vom Huhn über. Die wurden früher weggeschmissen, doch seitdem es den Freihandel mit ärmeren Ländern gibt, wird auch diese Ware noch zu Profit für Konzerne gemacht. Zu niedrigsten Preise kann man diese „Abfälle“ exportieren und extrem billig am Markt, z.B. in Ghana anbieten. In Ghana, wie auch in vielen anderen afrikanischen Ländern, ist die heimische Wirtschaft besonders von der Landwirtschaft geprägt. Oft sind es kleinere Familienbetriebe, die durch ihre Höfe über die Runden kommen müssen. Da jetzt billige Ware aus Europa kommt, kauft diesen Bauern jetzt aber niemand mehr ihre Hühner ab, da die teurer sind als das Importhuhn. Preise drücken geht auch nicht, da sie schon an der Existenzgrenze leben und somit laufen sie Gefahr, ihre Lebensgrundlage zu verlieren, während sich europäische Konzerne noch den letzten Mehrwert einstecken. Dieser ausbeuterische Mechanismus findet sich aber nicht nur im Agrarsektor, sondern z.B. auch in der Textilbranche, wo ebenso „Abfallprodukte“ - manchmal noch als Sozialhilfe geframt – in den globalen Süden exportiert werden und dort der lokalen Produktion schaden.

Doch neben der Ausbeutung erzeugt dieses dritte Problem noch ein weiteres, das den Zynismus in manchen Teilen der EU besonders klar aufzeigt. Wenn nämlich unser Bauer, der jetzt seinen Hof nicht mehr so bewirtschaften kann, dass er sich und seine Familie ernährt, droht ihm der Hunger. In dieser aussichtlosen Position bleibt vielen dann nur mehr eine Möglichkeit: Die Flucht durch Sahara und Mittelmeer nach Europa. Und dort werden sie dann von Rechten und Neoliberalen als „Wirtschaftsmigranten“ bezeichnet. Abgehoben und zynisch, wenn man bedenkt, dass die neoliberale EU selbst einer der größten „Push-Faktoren“ in Sub-Sahara Afrika sind.

 

“Wenn nämlich unser Bauer, der jetzt seinen Hof nicht mehr so bewirtschaften kann, dass er sich und seine Familie ernährt, droht ihm der Hunger. In dieser aussichtslosen Position bleibt vielen dann nur mehr eine Möglichkeit: Die Flucht durch Sahara und Mittelmeer nach Europa.”

Jetzt stellt man sich zurecht die Frage, wieso würde irgendein Land, wenn es all das weiß, so einem einseitigen Handelsabkommen zustimmen. Die einfache Antwort: Wirtschaftsimperialismus. Es ist nämlich nicht so, als hätte die EU das den Ländern einfach überlassen, zu entscheiden, ob sie beim Freihandel mitmachen wollen oder nicht. Den Einfluss, den die EU in alten Kolonien hat, hat sie schon genutzt. Zum Beispiel Kenia: Kenia ist Mitglied des Freihandelsabkommens zwischen der EU und 7 ostafrikanischen Staaten. Teil des Abkommens waren Verbote von Zöllen auf Exporte in die EU, aber auch für Importe aus der EU, welche Kenia jährlich 100 Millionen Euro gekostet hätten, die das Land aber benötigte, um seine Wirtschaft zu fördern. Diese Verbote lehnte Kenia ab und verweigerte daher vorübergehend die Unterschrift des Abkommens. Das ließ die EU nicht auf sich sitzen und nutzte ihre wirtschaftliche Macht eiskalt aus. Als Reaktion erhöhte sie die Zölle für Waren aus Kenia um über das dreifache auf mehr als 30 Prozent. Zurecht nannte man das in Kenia Erpressung. Und die Erpressung wirkte: Nur wenige Wochen später unterzeichnete Kenia das Abkommen doch. Ob diese Methoden des EU-Wirtschaftsimperialismus auch wo anders angewandt oder angedroht wurden, ist nicht bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass viele betroffene Länder im globalen Süden sich der Übermacht der europäischen Wirtschaft bewusst waren und deshalb brav still blieben.

Die EU betreibt ihren Außenhandel eigennützig, profitorientiert und framt das auch gerne mit dem Märchen „wirtschaftlicher Entwicklungshilfe“. Solange in der EU diese neoliberalen Denkweisen dominieren, wird sich daran auch nichts ändern. Was es aber braucht, ist eine EU, die sich ihrer Position als Ausbeuter des globalen Südens bewusstwird, und aus diesem Bewusstsein das Ende dieser Ausbeutung anstrebt.