Contra Zentralstaat: Es rettet uns auch kein Zentralstaat!

Jonathan Kaspar

Seit einiger Zeit ist die Europäische Union mit einer großen Anzahl an Krisen konfrontiert. Krisen, die zwar die gesamte EU betreffen, aber nur in den seltensten Fällen auf dieser Ebene sinnvoll gelöst werden konnten. Dieser Umstand führte die EU unweigerlich in eine Identitätskrise und auch im öffentlichen Diskurs zu einer immer lauter werdenden Debatte über die Zukunft der EU.

Insbesondere die politische Rechte äußert sich immer öfter EU-kritisch. Die in Österreich vor allem von der FPÖ kommende Kritik mündet sehr oft auch in der Forderung nach einem EU austritt. Dieser sogenannte „Öxit“ erfreut sich auch in der Bevölkerung von steigender Beliebtheit. 

Aus einem linken Blickwinkel ist ebenfalls klar, dass sich die EU in der Form wie sie aktuell besteht, massiv verändern muss. Die Chancen, welche die  vielen Krisen der letzten Zeit mit sich brachten, die Europäische Union endlich von einer Wirtschaftsunion zu einer Sozialunion zu machen, wurden weitestgehend verabsäumt. Die EU ist weiterhin eine Union der Konzerne, der Vermögenden und der Lobbyist*innen und nicht der 99%. Auch in Punkto Demokratisierung muss sich die Europäische Union noch einigen maßgeblich verändern.

Aber auch die von der Liberalen stammenden Idee eines europäischen Zentralstaates oder der „Vereinigten Staaten von Europa“ findet sich im Diskurs um die Zukunft der EU wieder.  Ein gutes Beispiel dafür sind die NEOS, welche schon im Jahr 2017 eine Europäische Republik forderten. 

 

“Der Zentralstaat Europa wird sehr oft mit der Idee eines geeinten Europas genannt. Ein Europa, in dem alle für die gleichen Werte stehen und alle für dieselben Werte kämpfen. Das dies in der Praxis anders ausschaut ist kein Geheimnis.”

Die Illusion des geeinten Zentralstaates und einer Demokratisierung

Der Zentralstaat Europa wird sehr oft mit der Idee eines geeinten Europas genannt. Ein Europa, in dem alle für die gleichen Werte stehen und alle für dieselben Werte kämpfen. Das dies in der Praxis anders ausschaut ist kein Geheimnis, denn noch immer leben wir in einer Staatengemeinschaft, in der Autokraten wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban zukunftsweisende Veränderungen im Alleingang stoppen können. Auch die vorliegenden Konzepte zu einem europäischen Zentralstaat können diesem Problem nicht vorbeugen. 

Die einzige Möglichkeit die Europäische Union demokratischer zu machen, ist die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, welche das EU-Parlament im Juni 2022 schon gefordert hat. Denn nur wenn man zu einfachen Mehrheiten übergeht, ist es möglich auch ohne die Zustimmung von Autokraten und anderen Blockierer*innen rascher Gesetze zu verabschieden. 

Eine Sozialunion für die arbeitenden Menschen

Die Europäische Union wurde gegründet, um den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten einfacher zu machen und die Wirtschaft dieser anzutreiben. Auch heute noch leben wir in einer Europäische Union die sich als Wirtschaftsunion versteht und auch genauso arbeitet. Noch immer sind es internationale Konzerne wie Amazon, welche Rekordgewinne innerhalb der Europäische Union verzeichnen und trotzdem keine Steuern zahlen. Im Gegensatz dazu ist es die arbeitende Klasse, welche seit Jahren auf sinnvolle und weitreichende Entlastungspakete seitens der EU wartet. Dass es ein Umdenken innerhalb der Europäischen Union braucht, ist spätestens jetzt klar.

Um dieses Umdenken herbeizuführen, braucht es einen durch Wahlen herbeigeführten Machtwechsel in den Mitgliedsstaaten und auch neue Mehrheiten im EU-Parlament. Sofern dieses radikale Umdenken nicht stattfindet, wovon in näherer Zukunft nicht auszugehen ist, würde auch ein Europäischer Zentralstaat die Interessen der Wenigen und nicht jene der Vielen vertreten. 

 

Ein Zentralstaat des Militärs 

Wenn im politischen Diskurs der Zentralstaat Europa gefordert wird, dann fällt meist im selben Satz das Wort Europa-Armee. Diese setzt es sich zum Ziel die militärischen Kapazitäten der Mitgliedsstaaten zu bündeln. Auch ein eigenes militärisches EU-Hauptquartier in Brüssel und ein eigenständiger EU-Verteidigungskommissar werden gefordert. Wenn politische Parteien eine EU-Armee als einen der Hauptgründe für die Gründung eines Zentralstaates nennen, dann lässt sich hier wohl auch ableiten, dass dies eine europaweite Aufrüstung zur Folge hätte. 

Abgesehen von der Militarisierung, die ohne Zweifel stattfinden würde, hätte eine EU-Armee noch weitere Auswirkungen auf Mitgliedsstaaten wie Österreich.  Eine EU-Armee wäre wohl nicht im Sinne der seit 1955 festgelegten immerwährenden Neutralität, welche nach wie vor von einer Mehrheit der Bevölkerung als sehr wichtig empfunden wird.

 

Eine sozialistische Zukunft

Wie im Artikel schon öfter verdeutlicht, befindet sich die Europäische Union an einem Scheideweg. Es ist höchst an der Zeit, dass Relikte wie das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft werden. Die so oft versprochenen Grundwerte: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gemeinschaft dürfen nicht nur einfache Floskeln bleiben. Die oft betitelte Freiheit sollte nicht nur die Freiheit des Marktes bedeuten. Die EU-Verträge, in denen eine offene Marktwirtschaft mit einem freien Wettbewerb festgeschrieben steht, gehören angepasst. Auch die arbeitende Bevölkerung darf innerhalb der EU nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. 

Dies sind nur einige Maßnahmen, die dringend notwendig sind, um die EU sozialistischer zu machen. Diese Maßnahmen können aber nur dann umgesetzt werden, wenn es den politischen Willen dazu gibt. Ein europäischer Zentralstaat allein würde all das nicht hervorrufen. Bevor wir in unserem politischen Kampf Energie damit verschwenden einen Zentralstaat einzuführen, konzentrieren wir uns lieber darauf eine Union der arbeitenden Bevölkerung draus zu machen, welche angehenden Krisen wie der Klimakrise gewachsen ist. 

 

“Die so oft versprochenen Grundwerte: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gemeinschaft dürfen nicht nur einfache Floskeln bleiben. Die oft betitelte Freiheit sollte nicht nur die Freiheit des Marktes bedeuten.”

Wie die Realität aussieht.

https://www.derstandard.at/story/2000054705384/neos-fordern-europaeische-republik-mit-eigener-armee

https://app-data.neos.eu/_Resources/Persistent/e4e6d86c469f335a77d3435dbee6d4e8fa95fc42/NEOS%20EU-Programm%202019.pdf

https://www.nzz.ch/meinung/zukunft-der-eu-europa-soll-seine-vielfalt-wahren-ld.145546?reduced=true

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-02/generation-europe-eu-krise-europa-brexit/seite-2?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2

https://www.rnz.de/politik/hintergrund_artikel,-superstaat-die-vereinigten-staaten-von-europa-wird-es-nicht-geben-_arid,922699.html